Wundervollste B-Ware

Im Sommer 2019 füllte das temporäre Restaurant Lücke für drei Monate eine Baulücke in der Weimarer Innenstadt. Aufgebaut wurde das Pop-Up-Restaurant ausschließlich aus Restmaterialien wie gebrauchten Bauzäunen, ausrangierten Fenstern, Lkw-Böden und Scheunentoren. Auch das Geschirr der Lücke sollte nachhaltig sein – und dennoch etwas Besonderes.

Geschirrkonzept von Susann Paduch

Das Designknonzept von Susann Paduch macht aus fehlerhaftem Porzellan eine einzigartige Geschirrserie.

Die Entwicklung einer eigenen Geschirrserie wäre viel zu aufwändig (und nicht wirklich nachhaltig) gewesen. Deshalb machte sich die Designerin Susann Paduch auf die Suche nach bereits existierenden Tellern, Tassen und Co., denen sie durch Oberflächenveredelung ein zum Pop-Up-Restaurant passendes Gesicht geben konnte. Fündig wurde sie im B-Waren-Verkauf des Porzellanherstellers Kahla – nur wenige Kilometer von Weimar entfernt. Die Wahl fiel auf die Geschirrserie Update von Kahla-Designerin Prof. Barbara Schmidt.

Update ist aufgrund seines Designs bereits ausgesprochen nachhaltig: Die Serie basiert auf nur wenigen Teilen, die jeweils mehrere Funktionen übernehmen. So ist ein Teller gleichzeitig Deckel, Untersetzer, Untertasse oder Servierschälchen. Gut 500 Update-Geschirrteile stiftete Kahla für das Restaurant Lücke.

Kleine Makel übernehmen die Hauptrolle

Inspiration für das Design fand Susann Paduch in den kleinen Makeln der B-Ware. Zum Beispiel schwarze Pünktchen, die während des Brennprozesses durch verglühte Partikel in der Luft entstehen. Oder als Nadelstiche bezeichnete Gasbläschen in der Glasur. Die Funktionalität des Geschirrs wird durch diese Ausschusskriterien nicht beeinträchtigt, dennoch empfinden Konsumenten sie laut Kahla als störend. Betroffene Porzellanteile werden deshalb aussortiert und als B-Ware verkauft oder sogar vernichtet.

Geschirrserie Lücke von Susann Paduch und Kahla

Jedes Geschirrteil erzählt (s)eine kleine Geschichte.

Die Designerin hat jedes Teil des gespendeten Geschirrs untersucht, alle Unregelmäßigkeiten (Susanne Paduch nennt sie Phänomen) notiert und kategorisiert und mit einem Etikett versehen, das über die Art des Phänomens, dessen Ursprung und Häufigkeit innerhalb des gesamten Geschirrsatzes informiert. Die Etiketten wurden in die Glasur dauerhaft eingebrannt. Sie machen jedes Geschirrteil zum Unikat und erzählen etwas über die Komplexität der Porzellanherstellung.

Ausgezeichnetes Design

Ich mag dieses Projekt sehr. Nicht nur, weil die Designerin fehlerhaftem Porzellan eine neue Ästhetik gegeben hat. Auch, weil Makel nicht versteckt, sondern betont werden und die Etiketten neugierig auf den Herstellprozess machen. Und vielleicht zum Nachdenken über das eigene Konsumverhalten anregen.

Die Gestaltungs- und Umweltexperten der Jury des Bundespreises Ecodesign waren von dem Konzept ebenfalls überzeugt und zeichneten Susann Paduch und Kahla Ende November mit dem Bundespreis Ecodesign 2020 aus. Herzlichen Glückwunsch!

LÃœCKE - Pop-up-Restaurant in Weimar

15 Sommerwochen lang hatte das Pop-up-Restaurant Lücke 2019 in Weimar geöffnet.

Susann Paduch ist künstlerische Mitarbeiterin der Professur Material und Umwelt an der Bauhaus Universität Weimar.

Kahla Porzellan mit Sitz im gleichnamigen Ort in Thüringen wurde 1844 gegründet. Das Unternehmen trägt das Pro-Öko-Siegel und produziert zu 100 Prozent in Deutschland.

Fotos: Philipp Montenegro